Härte im Training: Sinn und Unsinn – Teil 2
Willkommen zu Teil zwei meiner Artikelreihe über Härte im Training. In Teil eins habe ich erläutert, weshalb ein gewisses Maß an Trainingshärte im Selbstverteidigungstraining sinnvoll ist.
(Du kennst den ersten Artikel noch nicht? Fang am besten hier an.)
Jetzt ist es an der Zeit, die andere Seite der Medaille zu beleuchten: Welche Grenzen gibt es? Welche Nachteile bringt Trainingshärte mit sich?
Tatsächlich gibt es gute Argumente, die gegen zu viel Härte im Training sprechen:

Unschön: Der Betroffene konnte den Arm fast zwei Wochen lang nicht richtig benutzen (Nein, der Unteram liegt nicht nur im Schatten)
Welche Nachteile hat hartes Training in der Selbstverteidigung?
Gefährliche Fehlkonditionierungen
Grundsätzlich halte ich die Erfahrungen, die man aus Training mit viel Widerstand, Sparring, Randori und ähnlichem mitnehmen kann, für sehr sinnvoll. Aber was ist, wenn jemand häufig überfordert wird und überwiegend chancenlos ist?
Man könnte sagen, dass Der- oder Diejenige da einfach „durch muss“. Das greift meiner Meinung nach aber zu kurz. Was verinnerlicht diese Person unbewusst? Was wird wirklich konditioniert? Vermutlich die Erkenntnis, dass man im Grunde chancenlos ist. Das ist nicht gerade die Lektion, die man unterbewusst in einem Selbstverteidigungstraining verankern sollte.
The problem with full active resistance or any form of direct sparring is that only the winner learns that "it works against a resisting opponent." The loser, who probably needs the skill more anyway, learns that it fails against resisting opponents.”– Rory Miller
Zu Deutsch: Das Problem bei hartem Widerstand und direktem Sparring ist, dass nur der Gewinner lernt, dass seine Technik gegen einen sich wehrenden Gegner funktioniert. Der Verlierer, der die Fähigkeiten vermutlich mehr bräuchte, lernt, dass seine Technik gegen einen sich wehrenden Gegner scheitert.
Dieser Punkt kann meiner Meinung nach ein erhebliches Problem darstellen: Die Leute, die am Leichtesten in hartes Training hinein finden, brauchen es vermutlich am wenigsten. Die Personen, die es am meisten bräuchten, kommen durch zu viel Trainingshärte womöglich zu einer gänzlich nachteiligen Erkenntnis.
Darüber hinaus sollte auch in einem noch so harten Sparring-Match niemand ernsthaft verletzt werden. Wie wird dies gewährleistet? Welche „Fehler“ gewöhnt man sich womöglich so intensiv an, wie nirgendwo sonst im Training?
Abschreckungseffekt
Ein sehr hartes Training kann Anfänger oder unsicherere Personen auch schlicht abschrecken. Wenn sich jemand überwindet zu einem Selbstverteidigungstraining zu gehen, dort gnadenlos überfordert wird und nie wieder erscheint – dann ist das Training der Person möglicherweise nicht gerecht geworden. Jemand wollte etwas lernen und wurde durch zu viel Härte abgeschreckt. Das finde ich mitunter bitter.
Es ist sinnvoll, das Ertragen von Schmerzen und Treffern im Training zu lernen. Aber die gleiche Erfahrung kann auch Angst vor dem Training oder den Übungen machen.
Damit sage ich nicht, dass jeder Trainer und jede Trainingsform zu jedem Teilnehmer passen muss. Das wäre ein unrealistischer Wunsch. Es wäre auch nicht zielführend, sich völlig zu verbiegen, um Jedem gerecht werden. Es ist völlig in Ordnung, wenn ein Training eine bestimmte Zielgruppe hat (ein Punkt, der sicherlich im dritten Teil dieser Reihe wieder auftauchen wird). Ich finde allerdings, dass dieser Aspekt ruhig im Hinterkopf bedacht werden kann.
Menschliches Lernverhalten und Überforderung
Ich möchte an dieser Stelle nicht groß auf irgendwelche Lerntheorien eingehen. Daher nur so viel: Menschen lernen besser, wenn sie mit Spaß bei der Sache sind. Hartes Training kann den Spaß an der Sache für manche Menschen durchaus verderben. Dadurch werden die Beteiligten jedoch in der Regel deutlich weniger lernen, als wenn sie auf „ihrem Level“ mit Spaß dabei sein könnten.
Des Weiteren müssen neue Fähigkeiten behutsam aufgebaut werden. Wer etwas Neues gezeigt bekommt und dann sofort an seine absolute Leistungsgrenze gebracht wird, der wird das Neue nicht abrufen können – Ganz egal, wie hilfreich es in der Situation wäre. Überforderung ist meist kein zuträglicher Zustand.
Verletzungsgefahr
Je härter ein Training ist, desto höher ist die Verletzungsgefahr. Kraft wird immer schwerer zu dosieren. Plötzliche Bewegungen werden zu schnell, um noch adäquat zu reagieren. Die Entwicklung einer Trainingsauseinandersetzung wird unberechenbarer. Womöglich kommt Ego ins Spiel, weil keiner der Trainingspartner verlieren möchte und aus Training wird zunehmend Ernst. Je härter das Training, desto größer wird normalerweise die Verletzungsgefahr durch Unfälle.
Zu der Gefahr von Unfällen kommt auch noch ein anderes Risiko: Überlastungsverletzungen. Wenn man zu oft an oder über seine Leistungsgrenze geht und immer nur hart trainiert, endet man womöglich mit chronisch entzündeten Gelenken oder anderen Schwierigkeiten.

Kann passieren: Desinfektion einer aufgeschürften Hand nach einem Szenario-Training.
Wer verletzt ist, kann nur eingeschränkt oder gar nicht trainieren. Man stagniert oder fällt womöglich zurück. Schwere Verletzungen können dazu führen, dass man sein Leben lang Beschwerden hat und womöglich gar nicht mehr trainieren kann. Und auch Partner oder Arbeitgeber reagieren nicht immer begeistert auf ständige Einschränkungen.
Ich kenne eine ganze Reihe von Leuten, die früher intensiv Kampfsport trainiert haben und jetzt (mit 40, 50 Jahren nicht erst mit 80+) einen hohen Preis dafür zahlen: Künstliche Gelenke, OPs, chronische Verletzungen, ständige Schmerzen und Ähnliches. Bis zu welchem Grad ist es klug, sehr hart zu trainieren und ab wann wird es dumm, seinen eigenen Körper zu sehr zu verschleißen? Das ist eine ernstgemeinte Frage, die jeder Mensch für sich selbst beantworten muss.
Was im Harten Training nicht möglich ist, kann sehr wohl gut sein
In dem ersten Artikel dieser Reihe habe ich von dem Realitätscheck gesprochen, den Training mit Widerstand darstellen kann. Dieser Punkt ist die Kehrseite: Es gibt Techniken, die sich in einem harten Training einfach nicht integrieren lassen. Deswegen müssen sie allerdings nicht schlecht sein. Es gibt einen Unterschied zwischen „Fantasie-Vorstellungen“, die bereits im lockeren Sparring zerfallen und brutalen Techniken, die sehr wohl umsetzbar wären, aber den Trainingspartner schlicht und ergreifend schwer verletzten oder womöglich umbringen würden. So etwas lässt sich dann einfach nicht hart trainieren, auch wenn diese Techniken für manche Notwehr-Situationen vielleicht die beste oder einzige Lösung wären.
Sollte man Derartiges aus seinem Werkzeugkasten streichen, nur weil es sich nicht so schön hart üben lässt? Und wenn nicht, wie kann man es stattdessen sinnvoll trainieren? Diese Frage stellt uns aus meiner Sicht vor ein Dilemma.
Fazit
Ich denke, im ersten Teil dieser Reihe ist deutlich geworden, dass ich Härte im Training sinnvoll finde und zu schätzen weiß. Die möglichen Nachteile sollten allerdings genauso bedacht werden. Das gilt insbesondere, wenn man es mit einer Zielgruppe zu tun hat, die keine große Affinität zu derartigem Training mitbringt. Kann man Diese langsam heranführen? Oder sollte man besser auf manche Inhalte verzichten, um zumindest andere Dinge trainieren zu können?
Und andersherum: Was ist, wenn die Trainingsteilnehmer immer ein hartes Training wollen? Manchen Leuten macht hartes Training einfach am meisten Spaß. Aber darum dreht sich diese Artikelreihe nicht primär. Wer nur zum Spaß trainiert, der kann einfach machen was er möchte. Hart oder nicht, ganz nach Geschmack. Hier geht es jedoch darum, Trainingsteilnehmer gezielt auf Selbstverteidigung vorzubereiten.
Und damit wären wir bei dem Thema von Teil drei dieser Artikelreihe angekommen: Wie lässt sich Härte so ins Training integrieren, dass möglichst viele Vorteile zum Tragen kommen und die Nachteile möglichst klein gehalten werden?
Dazu demnächst mehr, bis dann!
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