Buchempfehlung: Kelly McCann – Combatives For Street Survival
Vor einiger Zeit habe ich "Combatives For Street Survival: Hard-Core Countermeasures For High-Risk Situations" von Kelly McCann gelesen. Hier ist ein Bericht zu dem Buch:
Als erstes möchte ich festhalten, dass der Titel täuschen kann. "Hardcore" klingt womöglich nach Macho-Gehabe, Übertreibung a la 'das ultimative Sytem' oder ähnlichem Krempel. Kurz gesagt: Dieser Eindruck trifft nicht zu. Stattdessen ist der Inhalt in der Tat "hardcore" im wahrsten Sinne des Wortes: Im Kern ist das Buch eine harte Angelegenheit. Kelly hat klare Vorstellungen und nimmt kein Blatt vor den Mund. Seiner Erfahrung nach muss Training hart sein, um unter Stress und gegen echte Gewalttäter bestehen zu können.
A question that invariably comes up is: "How hard should I bang?" My honest answer is: "As hard as you can stand it," followed by, "but use some common sense." - Kelly McCann
Die Frage: "Wie hart sollte ich mich hauen?" kommt unweigerlich immer auf. Meine ehrliche Antwort ist: "So hart wie Du ertragen kannst...," gefolgt von "...aber nutze etwas gesunden Menschenverstand."

Kelly McCann - Combatives For Street Survival
Kelly hat sein Buch in drei große Bereiche unterteilt:
Teil I: Combatives und Gewalt
Als erstes beschreibt Kelly, was er unter "Combatives" versteht und was diese Art von Training ausmacht. Combatives lässt sich schlecht ins Deutsche übersetzen. Combat heißt so viel wie Gefecht. "Kriegskunst" wäre ein Versuch, aber Kelly distanziert sich ganz bewusst von allen Ansprüchen an Kampf"künste". Möglicherweise könnte man von kriegerischem Nahkampf sprechen, aber ich werde einfach bei "Combatives" bleiben.
Combatives lassen sich unter anderem an folgenden Eckpunkten festmachen:
-
Sie sind ausschließlich auf Selbstschutz ausgerichtet
- Ein möglichst kompaktes System mit so wenig Techniken wie möglich
- Schnell zu erlernen, keine komplizierten Inhalte
- Überwiegend auf ernste Bedrohungen ausgerichtet und dementsprechend brutal
Im Anschluss an seine Combatives-Erklärung beschreibt Kelly wichtige Aspekte der Selbstverteidigung im Allgemeinen. Er geht bespielsweise auf Aufmerksamkeit, mentale Einstellung und Gewalt ein. Hier gibt es keine Verklärung oder sterile Dojo-Fantasien, sondern zum Beispiel Erfahrungsberichte von amerikanischen Weltkriegsveteranen, die über das völlige Chaos und den Horror im Nahkampf mit japanischen Soldaten berichten.
Das Buch nimmt kein Blatt vor den Mund, was die Realität von Gewalttaten angeht: Es ist gespickt mit Anekdoten und Hinweisen, wie unromantisch Gewalt tatsächlich ist.
A criminal doesn't know how to hit you "just hard enough" with a pipe to only knock you out. He may kill you whether he meant to or not.
Ein Krimineller hat keine Ahnung, wie man "gerade doll genug" mit einem Rohr zuschlägt, um jemanden nur zu betäuben. Er könnte Dich umbringen - Ganz egal ob er das überhaupt wollte oder nicht.
Teil II: Kellys combatives System
Der zweite Teil des Buches ist sehr viel techniklastiger. Hier beschreibt Kelly sehr konkret, wie er sich "Combatives" vorstellt. Als Erstes stellt er zwölf Prinzipien dar, die für ihn entscheidend sind, beispielsweise Schläge mit dem vollen Körpergewicht zu führen oder auf grobmotorische Techniken zu setzen.
Anschließend gibt Kelly konkrete Tipps, um Combatives zu trainieren. Er stellt dar, wie sich Training gestalten lässt, welche Ausrüstung wofür nützlich ist und worauf man achten sollte. In diesem Teil fällt besonders auf, dass Kelly ein Vertreter von sehr hartem Training ist. Verletzungsrisiko und Schmerzen sind aus seiner Sicht ein notwendiges Übel, um im Fall der Fälle weitaus Schlimmeres vermeiden zu können. Die ganze Trainingsmentaliät ist hiervon geprägt.
Meiner Meinung nach ist die Frage, wer solches Training wirklich braucht, durchaus berechtigt. Wer im Grunde nur etwas Bewegung oder ein Hobby sucht, der braucht möglicherweise kein solches Combatives-Training (falls es ihm nicht gerade deshalb Spaß macht). Aber wer tatsächlich damit rechnet, seine Fähigkeiten auch wirklich anwenden zu müssen? Der sollte über Kellys Ansichten zumindest einmal gründlich nachdenken.
Nach diesen Grundlagen dreht sich der große Rest dieses Oberkapitels um Kellys konkretes Combatives-System. Er beschreibt und erklärt sein bevorzugtes Technik-Sortiment, von Bewegungsarbeit über Schutzpositionen bis zu Schlägen und Tritten.
Teil III: Die Anwendung - Combatives in der Selbstverteidigung
Der letzte Bereich des Buchs befasst sich mit konkreten Beispielen für die Anwendung des vorher dargestellten Materials. Kelly beschreibt zehn verschiedene Szenarien, in denen man angegriffen wird und die er anschließend sehr anschaulich durchdenkt.
Als Erstes arbeitet Kelly Warnsignale sowie Möglichkeiten zur Vermeidung des Geschehens heraus, falls das Szenario dafür Ansätze bietet. Dann zeigt er für jede Situation, wie sich der Angriff mit den vorher vorgestellten Combatives-Techniken abwehren und bewältigen lässt.
Fazit
Es gibt viele Punkte, die mir an dem Buch sehr gut gefallen:
Zunächst einmal ist das Layout zu nennen: "Combatives For Street Survival" ist sehr aufwändig produziert. Das ganze Buch ist auf Hochglanzpapier gedruckt und alle Erklärungen sind mit Fotos veranschaulicht. Auf so gut wie jeder Seite finden sich ein oder mehrere erklärende Aufnahmen.
Des Weiteren ist das Buch sehr vielfältig. Durch die Mischung von Techniken, Prinzipien, Gedanken und Überlegungen sollte für jeden Leser etwas interessantes dabei sein. Der Technikteil ist seitenmäßig recht hoch, was eventuell abschrecken kann, falls man eine andere Kampfsportart trainiert und damit grundsätzlich zufrieden ist. Davon würde ich mich jedoch nicht abhalten lassen. Kelly hat reichlich Erfahrungen und Ansichten, die in meinen Augen für jede SV-interessierte Person lesenswert sind - auch wenn man möglicherweise nicht alles übernimmt.
Gefallen hat mir auch Kellys Einstellung: Er nimmt zwar kein Blatt vor den Mund und zeigt eine klare Linie, aber trotzdem rutscht er nicht in Schwarz-Weiß-Denken ab.
Ein Buch ganz ohne Macken?
Es ist hoffentlich deutlich geworden, dass ich das Buch sehr gut finde. Kelly vertritt seine Standpunkte mit klarer Kante und guten Argumenten.
Mir sind allerdings zwei Kleinigkeiten aufgefallen, bei denen sich das Gesagte und das Gezeigte in meinen Augen etwas widersprochen haben.
Dem Buch hat das keinen Abbruch getan, wie diese Empfehlung hoffentlich zeigt. Die beiden "Ausrutscher" werde ich allerdings vielleicht als Aufhänger für einen eigenen Artikel nutzen.
Er betont immer wieder auch Vermeidung, Flucht und Verhältnismäßigkeit. Sein Fokus liegt zwar auf ernsten Situationen und seine Vorgehensweise ist dementsprechend hart, aber er verliert zum Beispiel juristische Grenzen für Notwehr dabei nicht aus den Augen. "Harte Schale, differenzierter Kern" trifft es in meinen Augen ganz gut.
Ein weiteres Element, dass mir sehr gut gefallen hat, waren die Szenario-Beschreibungen am Ende. Bücher können leicht abstrakt werden, gerade wenn es um Wahrnehmung und Verhalten geht. Hier zieht Kelly die Fäden zusammen und verknüpft seine vorigen Erläuterungen zu kleinen, anschaulichen Gesamtbildern. Außerdem streut er immer wieder ergänzende Ratschläge ein. Es handelt sich um eine gut gelungene, lehrreiche Abrundung des Buchs.
Eine kleine Anekdote am Schluss:
Zufälligerweise hatte ich direkt vor Kelly McCanns "Combatives For Street Survival" zwei andere Bücher in den Händen: Zuerst hatte ich Peyton Quinns "Musashis Book of Five Rings: Explained in Plain English" gelesen und dann Musashis "Buch der Fünf Ringe" selbst noch einmal durchgeblättert.
Beim Lesen von "Combatives For Street Survival" war ich verblüfft, wie viele Parallelen sich zwischen diesem historischem Werk und Kelly McCanns Buch finden. Es scheint, als hätte sich an der Natur von körperlichen Auseinandersetzungen zwischen der Zeit der Samurai und der Gegenwart nicht allzuviel geändert. Zumindest nicht, was gewisse Prinzipien angeht.
Mal schauen, ob ich irgendwann die Zeit finde, um über diese Ähnlichkeiten einen eigenen Artikel zu schreiben.
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