Seminarbericht: Physical Management mit der ISR-Matrix

Im Juni 2014 war ich auf dem ersten europäischen Seminar der ISR-Matrix. Das Konzept hat mich damals absolut aus den Socken gehauen, aus diesem Grund gibt es hier nachträglich einen Bericht dazu.

Aber der Reihe nach: Wer oder was ist eigentlich „ISR-Matrix“? Ehrlich gesagt wusste ich das vor dem Seminar selbst nicht. Ich hatte mich nach mehreren dringenden Empfehlungen zur Teilnahme entschieden, obwohl ich den Namen vorher noch nie gehört hatte. Umso positiver war dann Überraschung, als das Konzept besser und besser wurde.

Damit ihr nicht genauso ahnungslos bleibt, werde ich erstmal kurz darstellen, was sich hinter der ISR-Matrix verbirgt. Im Anschluss kommt dann eine ganze Liste mit Sachen, die mich daran begeistert haben.

ISR-Matrix

ISR-Matrix: Intercept, Stabilize, Resolve

Was ist die ISR-Matrix?

Die ISR-Matrix ist ein System zur Bewältigung von körperlichen Auseinandersetzungen.

Das oberste taktische Ziel ist es dabei, möglichst schnell die Kontrolle über das Gegenüber zu erlangen. Ein wüstes Geschiebe und Geschlage bietet immer beiden Seiten Chancen, selbst wenn eine Partei deutlich besser ist. Dies gibt es zu verhindern, indem man sich schnellstmöglich eine Position erarbeitet, aus der man selbst gut handeln kann, die das Gegenüber jedoch stark einschränkt. Im Regelfall wird das die Flanke oder der Rücken sein.

Team-Arbeit

Zu zweit fällt vieles leichter: Arbeiten im Team

Der zweite Grundsatz ist, möglich wenig verschiedene Techniken zu benötigen. Jede Technik ist trainingsintensiv und je mehr Material vorhanden ist, desto mehr Trainingszeit braucht man (beziehungsweise desto weniger wird jede Technik geübt). Die ISR-Matrix versucht, möglichst viele Situationen mit möglichst wenigen, gut ausgewählten Vorgehensweisen zu bewältigen.

ISR: Intercept, Stabilize, Resolve

Die Vorgehensweise in der ISR-Matrix gliedert sich in drei Phasen:

1. Intercept (Abfangen)

Eine Auseinandersetzung beginnt damit, dass man etwas unterbrechen muss. Das kann ein Angriff sein, der bereits begonnen hat. Oder man handelt von sich aus, um ein anderes Verhalten zu unterbinden (etwa das Ziehen einer Waffe).

2. Stabilize (Stabilisieren)

Zu Beginn ist jeder Kampf chaotisch. Es lässt sich nicht exakt vorhersehen, wie man angegriffen wird oder wie sich ein Gegner verhält. Wer aus diesem Chaos heraus direkt versucht, den Gegner endgültig zu überwinden, der landet meist in dem oben erwähnten wüsten Geschiebe und Geschlage. Die ISR versucht deshalb zuerst, in eine vorteilhafte Position zu gelangen und diese (für einen kurzen Augenblick) zu stabilisieren.

3. Resolve (Lösen)

Sobald die Situation zum eigenen Vorteil stabilisiert ist, kann man die Lage schnell und entschieden beenden. Dies gelingt, weil es erst dann versucht wird, wenn die notwendigen Vorbedingungen gegeben sind.

In der Praxis ist das eine sehr schlüssige, funktionale Aufteilung. Genau so laufen Auseinandersetzungen üblicherweise ab.

Die ISR-Matrix umfasst für jede dieser Phasen drei Grundtechniken (sowie ein paar Variationen). Die Bezeichnung „Matrix“ bezieht sich darauf, dass all diese Techniken miteinander interagieren können. Aus jeder Technik lässt sich direkt oder indirekt in jede andere Technik wechseln. Dadurch ergibt sich eine sehr große Fülle an Variationen.

PM - Physical Management

Das Thema des dreitägigen Seminars war das PM-Modul der ISR-Matrix. Physical Management, zu Deutsch sinngemäß „körperliche Handhabung“, stellt den Kern der ISR-Matrix dar. In diesem Modul werden die oben genannten Phasen und Techniken vermittelt.

Training unter Druck

Nicht immer technisch perfekt, aber wertvoll: Training unter Druck

Sehr professionell fand ich, dass es anschließend verschiedene Spezialmodule für unterschiedliche Zielgruppen gibt. Beispielsweise gibt es Vertiefungen für militärisches oder polizeiliches Einschreiten oder den Schutz von Lang- und Kurzwaffen. Für die zivile Selbstverteidigung sind diese Themen überflüssig. Es macht also Sinn, sie entsprechend auszulagern.

Waffenschutz

Kurze Einblicke am Rande: Waffensicherung mit der ISR-Matrix

Dieser Aufbau ermöglicht zum einen eine sehr genaue Abstimmung des Trainings. Zum anderen beruhen alle Weiterführungen auf dem gleichen Kern: Dem Basismodul. Die gleichen Taktiken und Techniken werden weiter verwendet und nur leicht erweitert oder abgewandelt.

Auf diese Weise wird Wildwuchs vermieden. Ich habe es leider schon öfter erlebt, dass für jede denkbare Situation eine völlig andere Vorgehensweise gezeigt wurde. Am Ende steht dann ein strukturloser Haufen Einzeltechniken.

Die Stärken der ISR-Matrix

So, genug Allgemeines. Ich hoffe ich konnte einen Überblick über die Struktur der ISR-Matrix vermitteln. Hier einige Punkte, die mir besonders positiv aufgefallen sind:

Verkettungen und Übergänge

Die ISR-Matrix ist mehr als die Summe ihrer Teile. Wie oben geschrieben lassen sich alle Techniken miteinander verbinden. Dies hat einen entscheidenden Vorteil: Es verschafft Optionen, falls eine Technik nicht gleich funktioniert. Häufig klammern sich Leute unter Stress an eine bestimmte Technik, auch wenn diese gerade nicht wirkt. Im Training mit der ISR-Matrix wurden die Wechsel und Übergänge ständig mit einbezogen. Auf diese Weise fällt es leicht, solange zu wechseln, bis man den Gegner erfolgreich unter Kontrolle gebracht hat.​

Taktische Optionen​

Ich war erstaunt, wie viel taktische Vielfalt sich aus zwei Händen voll Techniken ergeben kann. Die drei „Interceptions“ sehen beispielsweise eine harte oder sanfte Vorgehensweise vor und ermöglichen es alternativ auch noch, den Gegner auf Abstand zu bringen (etwa um zu fliehen, Pfefferspray einzusetzen oder ähnliches).​

Durch diese Vielfalt wird ein situationsangepasstes Handeln möglich. Insbesondere lässt sich bei „harmlosen“ Situationen auch entsprechend mild reagieren, was einem viel Ärger ersparen kann.

Trainingsmethodik

Das Seminar wurde durch zwei Trainer betreut: Luis Gutierrez und David Pauli. Luis ist einer der Gründer der ISR-Matrix und Dave der Haupt-Repräsentant der ISR in Australien. Kurz gesagt: Die beiden sind absolute Profis im Trainings-Geschäft. Das Seminar war sehr gut strukturiert. Und bei knapp 20 Teilnehmern auf zwei Trainer ist sicherlich niemand zu kurz gekommen (auch wenn Englisch mit australischem Akzent für die eine oder andere Nachfrage gesorgt hat).

David Pauli und Luis Gutierrez

David Pauli und Luis Gutierrez erklären die ISR-Matrix

Besonders gut hat mir der gezielte Einsatz von Musik im Training gefallen: Es wurde nicht einfach irgendwas im Hintergrund angemacht. Stattdessen haben die beiden mit der Musikauswahl ganz gezielt das Tempo und die Intensität der Drills gesteuert.​

Ein großer Trainingsvorteil war die geringe Anzahl der Techniken: In fast jedem Drill werden verschiedene Techniken kombiniert. Auf die drei Tage sind wir dadurch ganz nebenbei auf verdammt viele Wiederholungen pro Technik gekommen. Und da Übung bekanntlich übt…

Auch die Abfolge der Drills war gut gewählt: Erst wurden verschiedene Basics ruhig und spielerisch für sich geübt, dann kombiniert. Diese solide Basis hat es dann später ermöglicht, die gleichen Techniken auch gegen viel Widerstand auszutesten.

Fazit​

Aus meiner Sicht ist die ISR-Matrix ein hervorragendes System, um in körperlichen Auseinandersetzungen zu bestehen. Ganz besonders glänzt es sicherlich im Sicherheitssektor, wo Verhältnismäßigkeit und Kontrolle oft noch wichtiger sind als in der zivilen Selbstverteidigung. In diesem Bereich kommen auch noch zwei weitere Aspekte dazu: Das klar definierte System ermöglicht eine verdammt gute Kommunikation. Und die gleichen Vorgehensweisen lassen sich auch im Team nutzen, um eine Person mit mehreren Leuten zu kontrollieren. Das funktioniert mit einer gemeinsamen Taktik und gemeinsamen Werkzeugen definitiv besser, als wenn jeder auf gut Glück und nach eigener Vorstellung an dem Gegenüber herum zerrt.

Das heißt jedoch nicht, dass die ISR-Matrix nicht für die zivile Selbstverteidigung taugt. Im Gegenteil. Sie hat lediglich darüber hinaus noch Stärken. Auch im privaten Selbstschutz ist es nützlich, schnell in eine vorteilhafte Position gelangen und das Gegenüber von dort kontrollieren zu können.

Übrigens heißt der Fokus auf Kontrolle nicht, dass Schläge, Tritte und ähnliches keine Rolle spielen würden. Bei Bedarf lassen sie sich locker-flockig integrieren. Ein Kniestoß wirkt umso besser, wenn man in einer günstigen Position steht.

Ein Disclaimer am Schluss:

Ist die ISR-Matrix das beste-tollste-coolste-System-überhaupt™? Natürlich nicht. Es gibt auch andere gute Selbstschutzkonzepte. Und viele der Techniken aus der ISR-Matrix finden sich bruchstückhaft auch an anderen Stellen. Es ist allerdings ein verdammt gutes System, das von sehr professionellen Trainern hervorragend vermittelt wurde.

Persönlich hat mich vor allem die hervorragende Abstimmung der Techniken begeistert: Genug Möglichkeiten, um eine Vielzahl von Situationen jeweils verhältnismäßig zu bewältigen. Aber keine Bewegung, die nicht für mehrere Zwecke Verwendung findet und auch noch funktioniert, wenn etwa im behördlichen Bereich Waffenschutz als Kriterium dazu kommt.

Ein solch kompaktes System zu stricken? Hut ab. Das hat meinen Respekt.

Davon abgesehen bin ich weder Trainer noch sonst wie Repräsentant der ISR-Matrix. Der Bericht stellt lediglich meine Eindrücke von einem mehrtägigen Seminar dar.

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