Buchempfehlung: Rory Miller – Facing Violence

"Facing Violence. Preparing for the Unxpected" von Rory Miller empfehle ich aus einem einfachen Grund: Es ist meiner Meinung nach das absolute Standardwerk zum Thema Selbstschutz. Ich kenne kein anderes Buch, das  Selbstverteidigung so umfassend von verschiedenen Seiten beleuchtet.

Für mich hat Rory in "Facing Violence" den Maßstab dafür gesetzt, welche Themen ein  Selbstverteidigungstraining alle abdecken sollte.

"Facing Violence" betrachtet Selbstverteidigung aus der Vogelperspektive. Viele Trainings, Bücher und DVDs beschäftigen sich nahezu ausschließlich mit körperlichen Auseinandersetzungen.  Notwehrlagen entstehen jedoch nicht aus dem Nichts und sind auch nicht unbedingt mit dem Ende einess Kampfes abgeschlossen.

Rorys Buch bildet gewissermaßen einen Leitfaden: Es bespricht nacheinander sieben Bereiche die Du beachten musst, um einer gewalttätigen Konfrontation aus dem Wege zu gehen oder in ihr bestehen zu können.

Facing violence

Facing Violence: Meiner Meinung nach das Standardwerk über Selbstverteidigung schlechthin.

Inhalt

There are seven Elements that must be addressed to bring self-defense training to something approaching "complete". Training that dismisses any of these areas leaves you vulnerable.
-Rory Miller, Facing Violence

Auf gut Deutsch: Damit Selbstverteidigungstraining vollständig ist, muss es sieben verschiedene Aspekte thematisieren. Wird ein Teil dieser Bereiche links liegen gelassen, bleiben entsprechende Risiken offen.

Für jeden dieser sieben Aspekte gibt es in Facing Violence ein eigenes Kapitel. Im Einzelnen handelt es sich dabei um folgende Themen:

  1. Juristische und ethische Betrachtungen zu Selbstverteidigung
  2. Unterschiedliche Dynamiken der Gewalt: Warum kommt es zu Angriffen?
  3. Vermeidungs- und Deeskalationsstrategien
  4. Umgang mit Überraschung: Konditionierte Reaktionen auf plötzliche Angriffe
  5. Verschiedene Gründe für Schreckstarre (und wie Du sie hoffentlich überwinden kannst)
  6. Einflussfaktoren im Kampf: Du und deine Ziele, der Gegner, die Umgebung und der Zufall
  7. Das Danach: Physische und psychische Gesundheit sowie juristische Konsequenzen

Meiner Meinung nach ist diese Liste ein ziemliches Brett und der Grund, weshalb ich "Facing Violence" so sehr schätze. Wie oft findet man ein so breites Spektrum in einem einzigen Buch?

Rorys Schreibstil ist knackig und auf den Punkt. Er schafft es, zu jedem dieser Punkte einen Haufen wertvoller Informationen zu vermitteln. Bei vielen Themen sind die jeweiligen Kapitel das Beste, was ich bisher überhaupt irgendwo dazu gelesen habe.

Dies gilt zum Beispiel für die Kapitel zwei und drei, die sich mit unterschiedlichen Gewaltdynamiken befassen.

Gewalttaten erfolgen aus unterschiedlichen Gründen. Dementsprechend sind sie im Vorfeld auch an unterschiedlichen Warnsignalen zu erkennen.

Darüber hinaus braucht es unterschiedliche Strategien, um sie zu vermeiden oder zu deeskalieren. Eine Kneipenschlägerei über ein verschüttetes Bier ist etwas anderes als ein Raubüberfall. Der Räuber unterscheidet sich von einem Schläger, für den Frustabbau daraus besteht, Blut fließen zu sehen.

Welche Gewalttaten finden typischerweise an welchen Örtlichkeiten statt? Womit hat man es in einer bestimmten Situation zu tun? Wie hoch sind die Risiken ungefähr? Wann macht es Sinn, klare Grenzen zu setzen? Wann ist eine Entschuldigung ein gutes taktisches Mittel und wann markiert sie einen als Opfer?

Eine Anmerkung zu Kapitel Eins:

Der juristische Teil des Buchs basiert natürlich auf dem Rechtssystem der USA.

Allerdings passen die Überlegungen aus Facing Violence auch nach Deutschland. Ein Freispruch wegen Notwehr wird auch hier leichter fallen, wenn man die Notwehrlage schlüssig erläutern kann und die eigene Reaktion nicht völlig unverhältnismäßig zu der vorhandenen Bedrohung war.

Selbstverständlich sollte man sich in Deutschland auch mit dem hiesigen Notwehrrecht befassen.  Nützlich ist das Kapitel zu Notwehr in Facing Violence allemal, es erspart nur nicht die Recherche über deutsches Notwehrrecht.

Ich kenne keine andere Quelle, die auf solche Fragen so detalliert und logisch eingeht wie Facing Violence. Rory hat eine klare Gliederung der unterschiedlichen Motive sowie darauf jeweils zugeschnittene Vermeidungs- und Deeskalationsstrategien ausgearbeitet.

Anhand dieser Unterscheidungen lässt sich auch besser erkennen (und später begründen), wann Deeskalation aussichtslos ist (oder gerade scheitert) und eine körperliche Konfrontation unausweichlich wird.

Wer einen Eindruck sucht, ob Rorys Ansichten für ihn interessant sein könnten, kann beispielsweise meinen Artikel über Gewaltdynamiken anschauen. Die gesamte Gliederung in soziale und asoziale Gewalt sowie in die einzelnen Muster stammen von Rory, der mir freundlicherweise erlaubt hat, sein Modell auf dieser Seite darzustellen. Die Erläuterungen in Facing Violence sind allerdings viel umfangreicher, insbesondere was den Umgang mit diesen unterschiedlichen Situationen angeht.

Darüber hinaus habe ich Rorys Gliederung in die sieben Kapitel auch in meinen Artikel zum Thema "Selbstverteidigung trainieren" übernommen. Wer nicht weiß, was er sich unter einem der sieben oben aufgeführten Kapitel verstehen soll, kann dort einen näheren Eindruck gewinnen.

Wer kann Facing Violence gebrauchen?

In Kurzform: Jeder, der sich aus irgendeinem Grund für Selbstverteidigung und Gewalt interessiert. Die gut 200 Seiten sind vollgestopft mit hilfreichem Wissen. Leider gibt es Rory Millers Bücher bislang nur auf Englisch. Aber wer sich für diese Themen interessiert und sich (notfalls mit einem Wörterbuch und viel Geduld) vorstellen kann, ausnahmsweise etwas auf Englisch zu lesen, dem rate ich zu diesem Buch.

Wer noch weitere Eindrücke sucht, könnte auf die amerikanischen Amazon-Seite von Facing Violence schauen. Dort hat das Buch bislang über 180 Fünf-Sterne-Bewertungen bekommen. Das spricht meiner Meinung nach eine deutliche Sprache.

Gibt es Alternativen?

Neben Facing Violence hat Rory Miller noch mehrere weitere Bücher über Selbstverteidigung und Gewalt geschrieben. Ich habe bisher aus jedem seiner Bücher viel Neues gelernt, aber normalerweise rate ich zu Facing Violence. Meiner Meinung nach ist es das Standardwerk zu Selbstverteidigung, einfach weil es so umfassend ist.​

Zwei andere Bücher möchte ich trotzdem am Rande erwähnen:

  • "Meditations on Violence: A Comparison Betweeen Martial Arts Training and Real World Violence"

Zu Deutsch: "Gedanken über Gewalt: ein Vergleich zwischen Kampfsporttraining und echter Gewalt". Dieses Buch könnte gerade für Kampfsportler interessant sein. Es ist emotionaler geschrieben und befasst sich mit den Unterschieden zwischen Kampfsporttraining und realer Gewalt außerhalb des Sports.

  • "Scaling Force: Dynamic Decison Making under Threat of Violence"

Zu Deutsch: "Zwang abstufen: Dynamische Entscheidungen bei drohender Gewalt".  Dieses Buch könnte insbesondere für Leute, die beruflich mit Zwang zu tun haben (Polizisten, Türsteher,  Rettungskräfte und so weiter) hilfreich sein.

Wer kann Facing Violence nicht gebrauchen?

Tja - das ist nach so viel Lob eine schwere Frage. Es ist nicht ohne Grund das erste Buch, zu dem ich auf dieser Seite eine Empfehlung schreibe. Zum einen ist es eben auf Englisch. Wer das nicht lesen kann, muss leider vorerst darauf verzichten. Ich greife wie gesagt einige Inhalte auch auf dieser Seite auf. Aber wer es wirklich nicht gebrauchen kann? Vermutlich Leute, die Kampfsport rein als Wettkampf, zur Entspannung oder aus ähnlichen Gründen betreiben und wirklich nicht den Anspruch haben, das Gelernte eventuell auch in Notwehr anwenden zu können.

Über den Autor

Rory Miller ist ein amerikanischer Autor und Trainer. Was ihn in meinen Augen auszeichnet, ist seine enorme Erfahrung mit Straftätern:

Rory hat über 16 Jahre im Justizvollzug gearbeitet. Dort war er unter anderem Vertrauensbeamter für psychisch kranke Insassen sowie Ausbilder und später Leiter einer Spezialeinheit des zuständigen Sheriff Departments. Seine enorme Erfahrungen  mit Straftätern, von Kleinkriminellen über psychisch Kranke bis hin zu Mördern, spiegelt sich in seinen Büchern wieder.

Sie zeigt sich sowohl in seinem Verständnis für das Verhalten von Gewalttätern als auch in seiner Erfahrung mit körperlicher Gewalt in Form von Widerständen und Konflikten unter Insassen.

Neben diesem beruflichen Hintergrund hat er unter anderem einen Bachelorabschluss in Psychologie und über 30 Jahre Erfahrung in verschiedenen Kampfsportarten.

Rory Miller in Deutschland

Rory Miller 2013 auf einem Seminar in Deutschland

Ein Disclaimer am Schluss:

Ich bin mit ​Rory gut befreundet und schätze ihn als Trainer sehr. Das prägt logischerweise auch meine Sichtweise. Allerdings hatten mich seine Bücher und Artikel schon lange überzeugt, bevor ich ihn persönlich kennen lernen konnte.

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